28.10.2019

„Der Schlüssel ist Vielfalt“

Fotos: Anouk Haegens, Floor Kuiters; Konzept: Anne Marie Commandeur

In unserer aktuellen Ausgabe InteriorFashion 5|2019 haben wir Ihnen bereits einen ersten Einblick in die neue Broschüre "Antron Top 15 Trend & Colors 2019", die das Unternehmen Invista in Zusammenarbeit mit Anne Marie Commandeur vom Stijlinstituut Amsterdam entwickelt hat, gegeben. Im Folgenden finden Sie die Fortsetzung der Trends sowie ein spannendes Interview mit der kreativen Designerin und Trendsetterin Anne Marie Commandeur. 

InteriorFashion: Frau Commandeur, von der diesjährigen Milan Design Week haben Sie für Invista exklusiv Ihre Eindrücke und Entdeckungen in 15 Trend- & Farbthemen formuliert. Was wir uns beim Wohnen und Einrichten künftig bewegen?


Anne Marie Commandeur: Die Vielfalt der 15 Trend- und Farbthemen zeigt, dass es nicht nur eine Strömung oder gar "die" eine Antriebskraft gibt, die Einfluss auf unsere Wohn- und Einrichtungstrends nimmt. Es lassen sich eine Vielzahl von Strömungen ausmachen, die Akzente verschieben und Veränderungen ausmachen: Mentalitätswandel, Veränderungen im sozialen und kulturellen Kontext, eine veränderte Moral und Ethik wie auch wirtschaftlichen Einflüsse führen zu einem ständigen Wandel. Hinzu kommen inspirierende Kräfte aus den Bereichen Industriedesign und Architektur sowie die wachsende Zahl an "Influencern". Außerdem reagiert die Branche auf Veränderungen der städtischen und ländlichen Lebensumgebungen sowie auf die global zunehmende Sorge um die Umwelt. Die große Herausforderung besteht darin, die Bedeutung von Design beizubehalten in einer Welt, in der Wandel die einzige Konstante ist.


IF: Ihren Entdeckungen lassen den Rückschluss zu, dass Trends stark von gesellschaftlichen und kulturellen sowie wirtschaftlichen und nachhaltigen Kräften beeinflusst sind. Weiß man damit besser, in welche Richtung bei Produktentwicklungen gedacht werden muss?


Commandeur: Um ein bedeutendes Design zu erstellen, muss man sich des Kontextes bewusst sein. Man muss Schwerpunkte festlegen, auf deren Basis Designentwicklungen basieren können. Das bedeutet, dass der Wert von Produkten und Marken nicht nur auf Ästhetik beruht, sondern ebenso auf Geschichten – sowohl was die Herkunft, die Ressourcen, die Technologie sowie die Moral und Ethik betrifft. Zusammen mit dem Aussehen und der Leistungsfähigkeit machen diese Faktoren den Wert eines Produktes aus. Der Schlüssel ist also, zu wissen, was beim Design relevant ist, für uns als Menschen, für Unternehmen und für die Umwelt.


IF: Wie verändert sich dadurch das Erscheinungsbild unserer Räume?


Commandeur: Die Erwartungen der Verbraucher sind höher denn je. Gutes Design ist mehr als nur auffällige Gestaltung. Erfolg werden Produkte haben, die einen emotionalen Wert haben, einzigartig sind, handwerkliches Können zum Ausdruck bringen oder einfach nur gut, praktisch, begehrenswert und schön sein. Alles Mittelmäßige oder aus Kompromissen heraus Entstandene wird sich schwer verkaufen. Das bestätigt sich auch in unseren Mailänder Top 15. Die Schlussfolgerung: der Schlüssel ist Vielfalt!


IF: Die Digitalisierung bringt viele Veränderungen mit sich: Wohn- und Arbeitsräume und Produkte werden "intelligenter". Wo steht dabei der Mensch?


Commandeur: Digitale Technologien ermöglichen die Herstellung überraschender sowie einfacher anwendbarer Produkte mit flexibleren, nützlichen und ästhetischen Eigenschaften: Produkte für optimierte, individuelle Lösungen, die unser Leben funktionaler machen und unseren Vorlieben und Lebensstilen gerecht werden. Wenn es um intelligente Lösungen und Interaktivität in Wohnumgebungen geht, so können etwa Bodenbelägen Sicherheits- und Wohlfühlvorteile hinzugefügt werden. Beispielsweise kann die medizinische Versorgung von intelligenten Teppichen und Bodenbelägen profitieren. Die "Smart Technology" fördert aber auch eine Dualität, die einerseits die Gesellschaft durch die Suche nach intelligenten und praktischen Lösungen antreibt, andererseits aber auch Angst vor dem Verlust der Privatsphäre fördert. Google hat bei der Mailänder Designwoche mit Wissenschaftlern im Rahmen einer Ausstellung zusammengearbeitet, bei der es darum ging, wie sich verschiedene ästhetische Erfahrungen auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden auswirken können. Ivy Ross, Vice President für Hardware-Design bei Google erklärte dazu, dass man daran gearbeitet hätte, zu demonstrieren, dass Technologie nicht beängstigend beängstigend sein muss, sondern auch ästhetisch sein kann. Es gibt nie nur das eine: Wir brauchen Technologie und Ästhetik im Leben.


IF: Abschließend die Frage: Konnte man in Mailand erkennen, wohin der Materialtrend bei Bodenbelägen geht und welche Rolle Teppichboden dabei spielt?


Commandeur: In Mailand war klar, dass der Wettbewerb mit Hartböden eine ständige Herausforderung ist. Das Teppichgeschäft wird sich auf Schönheit, Leistung und Emotion konzentrieren müssen. Textile Produkte sollen eine Vielzahl von Erwartungen der Verbraucher erfüllen: Sie sollen funktionell, langlebig, pflegeleicht, ästhetisch und "besitzenswert" sein. All diese Kriterien zu kombinieren, ist eine Herausforderung. Wir sind überzeugt, dass Teppichböden einige einzigartige Vorteile besitzen, die den Bedürfnissen der Verbraucher von heute und morgen entsprechen. Wellness etwa ist ein führendes Thema - Wohlbefinden, Gesundheit und Komfort. In diesem Bereich kann die Soft-Surface-Industrie ihre Vorteile ausspielen. Komfortable Akustik ist ebenfalls ein großes Thema. Das Interesse an akustischen Wandverkleidungen, das in Mailand überwältigend war, wächst offensichtlich schnell und zeigt eine Entwicklung hin zu ruhigeren und gedämpften Umgebungen. Auch dabei können textile Böden und weiche Oberflächen eine wichtige Rolle spielen. Und auf der Suche nach Geborgenheit, Sensibilität und Sinnlichkeit bieten weiche Oberflächen in Wohnräumen ebenfalls einen enorm emotionalen Wert. Die Ausstellung in Mailand hat deutlich gezeigt, dass die Verbundenheit der Menschen mit der Natur mehr denn je geschätzt wird. Ein starker Trend zu natürlichen als auch von der Natur inspirierte Materialien, Farben, Mustern und Texturen dominierten Auch darin können textile Bodenbeläge ihre Vorteile ausspielen und anderen Bodenbelägen den Rang ablaufen.


IF: Frau Commandeur, wir bedanken uns für das interessante Gespräch!

"Antron Top 15 Trends & Colors 2019"

In unserer aktuellen Ausgabe InteriorFashion 5|2019 haben wir Ihnen die Trends "Afrotopia", "Dichroic", "Terrazzo", "Mineral Pastels" sowie "Neo Ethnic" ausführlich vorgestellt. Im Folgenden finden Sie die 10 weiteren Trend-Themen, die Anne Marie Comamndeur für das Unternehmen Invista definiert hat.

"CHLOROPHYLL"

Bei vielen der Projekte ging es darum, ein Zusammenwirken zwischen Natur und Wissenschaft zu initiieren, um menschlichen Bedürfnissen gerecht zu werden, ohne die Umwelt zu zerstören. Insbesondere Pflanzen sind wichtig für die Realisierung nachhaltiger Projekte. Auf fruchtbarem Boden wächst und gedeiht die Natur. Das Pflanzenreich und seine unendliche Palette an Grüntönen steht für die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft.

"NATURALLY PRINTED"

Der 3D-Druck machte weiterhin von sich reden. Er wirkte nun authentischer und fügte sich mehr in die natürliche Designsprache ein. Gedruckte Strukturen erscheinen in Weiß oder Beige bemerkenswert farblos und stehen oft im Dialog mit natürlichen Elementen. Diese Beispiele zeigen, dass neue Technologien die Natur nicht zwangsläufig ersetzen. Vielmehr ergänzen und betonen sie diese. Die Kombination beider Ansätze könnte den Weg zu einer nachhaltigen Zukunft weisen.

"THE PLASTIC ISSUE"

Der Umgang mit Plastikabfällen trieb viele Designer um. Während einige noch nach Lösungen suchen, um alten Kunststoffen neues Leben zu geben, stellen sich andere schon der Herausforderung, dieses farbenfrohe Rohmaterial in Designobjekten zu verwenden. Eine zufriedenstellende Lösung im Umgang mit Plastikmüll steht noch aus, aber gewöhnen wir uns jetzt an die leuchtende Plastik-Palette, denn sie wird in Zukunft ebenso wichtig bleiben wie bisher.

"SANCTUARY WHITES"

In der belebten und hektischen Umgebung des Salone boten viele Ausstellungen eine Insel der Ruhe. Flüchtiges Licht, Schatteneffekte und subtile Weißtöne schufen eine sanfte Atmosphäre, in der das Design eine beruhigende Wirkung hat. Stille, leere Räume in sanftem Weiß ermöglichen Besinnung sowie Nachdenken über unsere Werte und Prioritäten. Sie bieten uns Zuflucht vor der hektischen, immer im Wandel befindlichen Welt, und lassen uns der Informationsflut vorübergehend entkommen.

"LIGHT SHOW"

In diesem Jahr experimentierten viele Designer mit Farbtönen durch den Einsatz von Lichtinstallationen. Die vom Licht gebildeten Farben sind sichtbar, aber nicht berührbar. Sie erzeugen eine satte, immersive Palette und immaterielle Erfahrungen für den Betrachter, die zu Hause ebenso prägnant und eindrucksvoll sind wie auf der Ausstellung.

"GROUND"

Erdige Materialien in ihrer ursprünglichen Form waren dieses Jahr Quelle der Inspiration. Ob als vulkanische Asche, in Form von unterschiedlichen Boden-Proben oder auf dem Boden verteilt. Das Thema wurde in vielfältiger Weise interpretiert. Die greifbaren braunen Farbtöne sind warm und beruhigend, verbinden sie doch wieder mit Mutter Erde. Es ist an der Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und die Hände in fruchtbaren Boden zu stecken!

"TRIBAL BLACK&WHITE"

Diverse Schwarz/Weiß-Installationen mit tribal inspirierten Mustern waren ebenso vertreten. Das Fehlen von Farben akzentuierte und verstärkt die graphische Gestaltung. Die Muster mit ihren Stammesaspekten erinnern an Talismane und archaische Rituale. Sie repräsentieren eine zeitgenössische Ästhetik und verfügen dabei über eine Spiritualität, die eine Brücke zur Vergangenheit schlägt.

EIGHTIES GLAM REVIVAL

Glamouröse Objekte in Gold auf fuchsienfarbigen Teppichen glänzten in mehreren Mailänder Galerien. Dimore (eines der gefragtesten Mailänder Möbelstudios) war der größte Befürworter eines Comebacks der 1980er Jahre. Die Arrangements waren sinnlich bis aufreizend und zollten Gabriella Crespis (italienische Designerin und Architektin 1922- 2017) zeitlosen Designs Anerkennung. Einige Stile und Designs sind von feinster Qualität und zeitloser Eleganz, wobei einige Farben Ihre glamouröse Wirkung nicht verfehlten. Dimore bereicherte die Installation mit silberweißem Sand.

STAINING INDIGO

Satt, dunkel und frisch gefärbt oder aber "used", häufig gewaschen und somit heller - Indigo ließ sich überall entdecken. Fast jede Marke spielte mit der reichen Farbpalette, die das natürliche Pigment bietet. Indigo ist der älteste bekannte Farbstoff für das Drucken und Färben von Textilien. Es ist eine ursprüngliche Farbe, die Authentizität und Tradition ebenso zum Ausdruck bringt, wie Emotion und Nützlichkeit.

"NEW PRIMARY"

Den Ton an gaben beim diesjährigen Salone verspielte Grundfarben. Vitra verstand es besonders gut, die wiederbelebten Grundtöne einzusetzen: in einer Kombination aus ikonischen Klassikern neben nagelneuen Designs. Diese Farben zeigen eine weitere Stufe der Wiederbelebung, von den 50ern über die 80er bis heute. Und zwar nicht nur als Retrospektive: Grundfarben standen im Vordergrund und wurden an neu herausgebrachten und originalen Ikonen eingesetzt.

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