03.05.2019

Hilfe, wir ziehen ins Großraumbüro

Foto: Christian Krinniger

Fachbeitrag: Im Rahmen der aktuellen Studien der Harvard University behandeln CSMM den Kommunikationsverlust durch falsche Raumplanung von Großraumbüros: Ohne Ruhe- und Rückzugsorte leiden Produktivität und Zufriedenheit.

Ich bin ein Angestellter, holt mich hier raus. Die Metamorphose des Großraumbüros ist mit der Wandlung von der seelenlosen Tippfabrik zur attraktiven Arbeitslandschaft nicht beendet. "Der Trend geht aus gutem Grund weiter weg vom Einzelbüro hin zu Gemeinschaftsflächen. Einige Studien zeigen jedoch, dass in schlecht geplanten Großraumbüros Kreativität, Konzentration, Kommunikation und Wohlbefinden leiden können", erklärt Timo Brehme, Gründer und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens CSMM mit Blick auf eine aktuelle Untersuchung der Harvard University. Demnach können sich mit dem Wechsel in den Open Space direkte Gespräche unter den Mitarbeitern um rund 70% reduzieren. Parallel hatte in einem Fall die elektronische Kommunikation über Kanäle wie E-Mails und Messenger-Dienste um 20 bis 50% zugenommen. Folglich leidet die Produktivität. Damit Angestellte nicht sofort aus dem Großraumbüro zurück ins Einzelzimmer wollen, gibt es einiges zu beachten. Laut Experte Brehme entscheidet nicht nur die architektonische Planung über Erfolg und Misserfolg.

Open Space ist mehr als Wände herausreißen

"Falsch ist, für ein Großraumbüro einfach die Wände herauszureißen. Fehlen Rückzugsräume, entwickeln Mitarbeiter mitunter Strategien und Abwehrreflexe, um der Überstimulation durch telefonierende Kollegen, Tastaturklackern oder Bürogänge zu entgehen. Ist das Großraumbüro von der Pike auf falsch geplant, lassen sich Mankos auch durch nachträgliche Lärmeindämmung oder Schönheitskorrekturen selten beheben. Gerade im Open Space braucht es ausreichend Platz für jeden Mitarbeiter, Rückzugsorte, Gemeinschaftsflächen, mobile IT-Technik und flexible Raumsysteme", erklärt Timo Brehme. Wer Rückzugsinseln und durchdachte Begegnungsorte ausspart, reduziert, wie die Harvard-Studie zeigt, Teamarbeit und zwischenmenschliche Face-to-Face-Kommunikation – und erhöht die technische Verständigung via Mail und Messenger. Das wird auf Dauer unpersönlich und unproduktiv. Arbeitsabläufe sind dann gestört, die Kommunikation versiegt.

Ich bin ein Mitarbeiter, ich will da rein: Mitarbeiter in Change-Prozesse einbeziehen

Schon in den Entscheidungsprozess für Großraumbüros sollten die Mitarbeiter einbezogen werden. Nichts ist schlimmer, als vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Lange vor baulichen Veränderungen sollte der Umzug ins neue Büro bei Kollegen und Führungsetage im Kopf beginnen. "Wenn die Entscheidung zum Großraumbüro von oben durchgesetzt wird, kommt es oft zu Problemen. Vom Einzelbüro in den Open Space ist es eine kulturelle 180-Grad-Wende." CSMM rät, rechtzeitig in jeder Abteilung einen Mitarbeiter zu identifizieren und dann gemeinsame Workshops durchzuführen. Zudem sollte der Betriebsrat einbezogen werden. Zu Beginn sind die Bürotätigkeiten zu analysieren – um darauf eine funktionale Flächenplanung aufzusetzen.

Dazu gehört die Analyse der Verkehrswege. Brehme warnt, die Flächenreduktion in den Mittelpunkt zu stellen. Die Flächenkennwerte haben sich laut CSMM von früher 30 qm pro Mitarbeiter auf aktuell rund 20 qm pro Mitarbeiter verringert, was durch die Digitalisierung möglich ist. Deutlich geringere Kennwerte hält der Experte für kritisch. "In einer offenen Bürolandschaft braucht es zusätzliche Mehrwert- und Kollaborationsflächen. Nur mit ihnen lassen sich tatsächlich Arbeitsabläufe optimieren und Kommunikation beschleunigen."

Multispace: Flexibilität in der Raumgestaltung

Auch bei der Open-Space-Transformation verändern sich mit der Zeit die Ressourcenbedürfnisse. Unternehmen sollten wissen, dass der Umbau nicht der neue Status quo ist. Wichtig bleibt eine hohe Bandbreite an Raumoptionen, die von allen Mitarbeitern flexibel genutzt werden können. Brehme: "Agile Arbeitsweisen und Arbeitsorganisationen wie Scrum brauchen agile Räume – und damit flexible Raumsysteme." Open Space heißt nach seinen Worten nicht, dass es keine Trennwände gibt. Im Gegenteil: Gefragt sind Flächenplanungen und Büromöbel, mit denen sich Flächen schnell an die Ressourcenbedürfnisse anpassen lassen. "Wie sich die Teams abwechselnd zu kleinen und großen Funktionseinheiten zusammenfinden und verschiedenen Tätigkeiten nachgehen, müssen sich Räume schnell verändern können." Dazu gehört, die technische Infrastruktur bereitzustellen. "Wer ein längeres Telefonat führen möchte, braucht dafür heute Laptop und Schnurlostelefon, wenn andere Kollegen nicht gestört werden sollen. Ausschließlich stationärer Computer mit festem Telefonplatz im Großraum kann nicht funktionieren."

Alte Arbeitsweisen verwerfen – New-Work-Regeln aufstellen

Behalten Angestellte, die über Jahrzehnte in Einzelbüros gearbeitet haben, bestimmte Verhaltensweisen bei, sind Probleme vorprogrammiert. Großraum verlangt Rücksicht. Längere Telefonate oder Meetings am Arbeitsplatz stören die Konzentration. "Wir empfehlen, klare Regeln zum Umzug aufzustellen. Zudem sollten Angestellte immer wieder auf eigens geschaffene Funktionsflächen hingewiesen werden – falls diese nicht von selbst angenommen werden." Brehme warnt davor, den Mitarbeiter selbst zum Sündenbock schlecht funktionierender Open Spaces zu machen. "Wer heute von Ablenkung spricht, sollte einen genauen Blick darauf werfen, wie sehr Apps und Gadgets den Konzentrationsfluss von Mitarbeitern stören. Der Kollege, der mal eben eine Frage hat, kommt deutlich seltener vor als eine aufblinkende Nachricht auf dem Smartphone oder eine Mailvorschau auf dem Rechner."

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