06.07.2018

Das Büro als Bewegungsraum

Foto: AKIM Photography

Fachbeitrag: Designfunktion zu den Erfolgsfaktoren „Wohlbefinden" und „Gesundheitsschutz Mitarbeiter" in Office-Umgebungen.

Die Kongressreihe "Wirksame Büros" von Designfunktion, Deutschlands führendem Planungs- und Einrichtungsunternehmen für Büro- und Arbeitswelten, behandelt die Erfolgsfaktoren von Office-Umgebungen. Dazu wurde im Rahmen einer Studie des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO nach Unterstützungsfunktionen gefragt. Erfasst wurden unter anderem die Kategorien "Wohlbefinden" und "Gesundheitsschutz Mitarbeiter". Die Ausprägung beider Kategorien wurde von den Teilnehmern auf einer Skala von 1 "sehr schlecht" bis 7 "sehr gut" eingestuft. Für die gegenwärtige Situation lag die Einschätzung bei 4,3, für die Zukunft bei 5,2. Es gibt also eine deutliche Erwartungshaltung hinsichtlich einer Verbesserung beider Parameter für die Zukunft.

Wer länger sitzt, ist früher tot


"Sitzen ist das neue Rauchen", warnt der Kölner Sportwissenschaftler Boris Feodoroff in seinem Kongressreferat. Laut DAK-Gesundheitsreport 2018 sind Rückenschmerzen die zweithäufigste Einzeldiagnose für Krankschreibungen. Hochgerechnet auf die erwerbstätige Bevölkerung gab es dadurch rund 35 Mio. Ausfalltage im Job. Jeder siebte Arbeitnehmer (14,4%) leidet bereits drei Monate oder länger unter Rückenschmerzen. Biologisch ist unser Körper auf Gehen und Laufen eingerichtet. „Es gibt keine Struktur im Körper, die es Ihnen dankt, dass Sie den ganzen Tag sitzen", erklärt Feodoroff, der mehrere Studien zu bewegungsfördernden Sitzmöbeln initiiert hat.


Wie brisant das Thema ist, zeigen auch Studien aus den USA und Australien mit insgesamt ca. 100.000 Studienteilnehmern. Sie weisen nach, dass mehr als vier Stunden Sitzen täglich die Wahrscheinlichkeit für chronische Erkrankungen signifikant erhöht. Ab 12 Stunden sinkt die Lebenserwartung deutlich, auch dann, wenn die anderen 12 Stunden für Bewegung genutzt werden. Notwendig sind also adäquate, physiologisch sinnvolle Bewegungsreize im Arbeitsumfeld, möglichst häufig am Tag. Die Formel "Use it or lose it!" bringt das Problem auf den Punkt, denn Muskulatur, die nicht genutzt wird, atrophiert – davon sind auch die tiefe Rückenmuskulatur und die Umgebungsmuskulatur der Wirbelsäule nicht ausgenommen.

Das bewegte Büro


Nach Burkhard Remmers, Director International Communication and PR, Wilkhahn, lässt sich die Bedeutung von Agilität im beruflichen Umfeld nicht hoch genug einschätzen: „In der heutigen Zeit besteht die Herausforderung darin, immer wieder zu vielfältiger Bewegung anzuregen. Wenn der Körper nur noch einheitliches, schonendes Sitzen kennt, fehlen wesentliche Reizsetzungen, die für einen gesunden Stoffwechsel Voraussetzung sind." Wenn ausreichende Bewegung für nahezu alle Gesundheits- und Wohlfühlparameter verantwortlich ist, muss die Ausstattung der Büroumgebung in vielerlei Hinsicht optimiert werden. Im Zentrum steht dabei das Sitzmöbel Nummer Eins, der Bürostuhl. In einer Studie von Wilkhahn wurden Stehstühle mit konvexer Standfläche untersucht. Es konnten adäquate Reize nachgewiesen werden, die das zentrale Nervensystem positiv beeinflussen. Nach 12 Wochen zeigte sich ein eindeutiger Trainingseffekt.

Zwei weitere Studien widmeten sich sog. 3D-Stühlen, auf denen das Becken in alle Richtungen mit dem Stuhl bewegt werden kann. Tatsächlich werden hier ständig minimale Bewegungen ausgeführt, sodass die Rückenmuskulatur deutlich besser versorgt ist als auf einem konventionellen Bürostuhl. Der 3D-Stuhl ist folglich ein gutes Gesundheitserhaltungstool, eine therapeutische Wirkung entfaltet er nicht. "Mit Hinblick auf die Gesundheit der Mitarbeiter empfehlen wir unseren Kunden, nicht nur 3D-Stühle, sondern auch höhenverstellbare Tische einzusetzen. Wer auf Dauer hochdynamisch und ausdauernd arbeiten soll, benötigt auch die entsprechende Arbeitsumgebung. Bei Ströer Berlin haben wir sogar einen Rückzugsraum als Sportstudio mit Kletterwand und Klimmzugstange eingerichtet, damit mehr Bewegung ins Büro kommt," berichtet Samir Ayoub, geschäftsführender Gesellschafter der Designfunktion-Gruppe aus der Praxis.

Multispace: ein dynamisierender Faktor


Boris Feodoroff plädiert dafür, das Büro als Bewegungsraum zu nutzen, wie es im Rahmen von Activity-based Working möglich ist. Desk-Bikes oder Laufband-Arbeitsplätze als Angebote sind zwar biologisch sinnvoll, weil sie zusätzliche Bewegungsmöglichkeiten schaffen. Allerdings werden sie von den Mitarbeitern in der Regel nicht angenommen: Niemand will Kollegen oder Kunden verschwitzt gegenübertreten.
Burkhard Remmers möchte nicht nur dem Sitzen das Laufen beibringen: "Über die Bewegungsförderung beim Sitzen hinaus brauchen wir neue Formen einer Steh-Sitz-Dynamik, machen wir also aus Sitzungen 'Stehungen'." Er plädiert für dynamische Konferenzformen, für mehr Beteiligung und Aktivierung. Denn Bewegungsförderung ist die biologische Grundlage für Agilität und Kreativität. Multispace-Umgebungen weisen eine deutlich höhere gestalterische Qualität auf als alle anderen Büroformen. Hier stehen Flächen für Entspannung und körperliche Aktivität zur Verfügung. Diese Möglichkeiten der Agilität im Unternehmen haben einen weiteren positiven Effekt: neue Formen des Netzwerkens und der Begegnung zu finden. Wer mehr in Bewegung ist, findet sich in unterschiedlichen (Raum-)Situationen wieder und trifft mehr Kollegen. "So haben wir z.B. bei Ströer Berlin in einem Besprechungszimmer einen Pingpong-Tisch aufgestellt, der nun flexibel genutzt werden kann", so Ayoub. Ein Bewegungsraum ist immer auch ein Begegnungsraum.


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