04.05.2021

Ein Möbel, ein Raum

Blick in das WagnerDesignLab / Fotos: WagnerLiving / Gerry Kellermann

Das WagnerDesignLab ist Showroom und Workspace zugleich. Seine klare, aber richtungsweisende Architektur illustriert, wie das Inhouse Design bei WagnerLiving denkt und arbeitet. Im Interview mit InteriorFashion gibt Mitinhaber Peter Wagner Einblick in die Markenstrategie und spricht dabei über prozessorientiertes Arbeiten und die Zusammenarbeit mit Designer Stefan Diez, über krisensichere Zulieferketten und neue Design-Ansätze. 

InteriorFashion: Herr Wagner, wenn man sich hier im Raum so umsieht, hat man fast den Eindruck, Sie hätten das Lab um das "D2"-System herumgebaut. Ist das so?


Peter Wagner: Im übertragenen Sinne ist das sicherlich nicht ganz falsch. Sie sitzen hier gerade an unserem ersten Serienprodukt, dem "D2"-Konferenztisch. Der Prototyp des „D2" steht bei mir vorne im Büro, das hier ist schon die erste Weiterentwicklung. Die Aluminiumplatten beim Konferenztisch sind schwarz eloxiert, an den Rändern sind die Tischkanten mit einem weichen Linoleum bezogen. So fühlt sich die Tischplatte wärmer und weicher an.


Das „D2" ist ein Möbel, dass sich anpasst. Es ist ein Möbel, dessen Konstruktion sich sofort erschließt, das leicht montierbar ist und dabei immer flexibel und erweiterbar bleibt und dessen Bestandteile sich jederzeit problemlos in den technischen Kreislauf zurückführen lassen. Trotz der schlichten Konstruktion hat es eine starke Ästhetik und wirkt sehr hochwertig.


Hinzu kommt: Aluminium ist als Material nicht nur angenehm leicht und gut kombinierbar, sondern auch recycelbar. Beim zweiten Mal Einschmelzen benötigt es nur noch 10% der Energie im Vergleich zum Rohmaterial. 

Die aufgebrachte Farbe setzt sich als Schlacke an der Oberfläche ab und kann abgeschöpft werden. Was bleibt ist reines Aluminium, das sich ohne Qualitätsverlust wieder neu gießen lässt.


Nicht zu vergessen: Aus dem "D2"-System lässt sich einfach alles bauen. Wir haben hier im Wagner Design Lab mit Tisch und Regal angefangen – ursprünglich hatten wir dabei ein neues System für unseren Messestand im Kopf – aber letztlich liegt es in der Fantasie der Planer, was sie daraus machen.

IF: Nicht nur mit dem Möbelsystem, auch mit dem Vertriebskonzept verfolgen Sie einen neuen Ansatz...


Wagner: Richtig, schließlich wollen wir mit dem neuen Produkt ja nicht in den Möbelbau einsteigen, und vor allem keine neuen Maschinenparks aufbauen, sondern lediglich ein neues Konzept anbieten. Eines, mit dem alle arbeiten können, sowohl Architekten und Planer als auch Schreiner und Möbelbauer.


Noch ist "D2" nur ein Ansatz. Denkbar ist, daraus ein Lizenzprodukt zu entwickeln oder auch ein Planungstool. Entscheidend ist, dass sich Architekten und Planer des Konzepts bedienen und auf ihre Projekte anpassen. Die notwendigen Daten dazu erhalten Sie von uns. Die Konstruktion und Umsetzung soll dann vor Ort geschehen, mit lokalen Partnern aus dem Handwerk vor Ort. Und das für Projekte weltweit.

Unsere Zeit schreit förmlich nach einem solchen Ansatz, finden Sie nicht? Noch wird gedankenlos gebaut und wieder abgerissen, eingerichtet und entsorgt. Wir errichten Gebäudekomplexe, von denen wir zum Zeitpunkt der Planung gar nicht wissen, wie sie später genutzt werden, oder ob die Zahl der geplanten Büros und Arbeitsplätze überhaupt benötigt werden. Darauf ist "D2" eine Antwort, es entwickelt sich mit dem Raumbedarf mit.

InteriorFashion: Welche Rolle spielt das Design Lab dabei als Showroom?


Wagner: Zum einen haben wir die Montage des Konferenztisches in einem Webvideo dokumentiert und mit unseren Fans auf Social Media geteilt. Zum anderen laden wir natürlich auch Architekten und Designer persönlich ein. Erst heute morgen waren zwei Münchner Architekten hier, die den prozessuralen Ansatz sofort verstanden haben. Die Leichtigkeit und Schlichtheit des Designprinzips erschließt sich intuitiv. Das hat mir dieser Besuch gerade erst wieder bestätigt.


Dafür spielt übrigens auch der "D1", den Sie hier ebenfalls mehrfach sehen, eine Rolle: Denn das Prinzip von Dynamik, Ergonomie und Bewegung eines Sitzmöbels für das die Marke WagnerLiving steht, verkörpert für die meisten der "D1" und das weiterentwickelt Dondola-Gelenk. Durch den "D1" sind die Menschen für unseren Ansatz also bereits sensibilisiert. Deshalb fällt es ihnen leicht, vom "D1" auf das flexible System des "D2" zu schließen.

InteriorFashion: Welchen Part spielt dabei der Designer Stefan Diez?


Wagner: Stefan hat uns mit der Weiterentwicklung des Dondola-Gelenks und des "D1" für den Prozessgedanken erst so richtig sensibilisiert. Der Industrie geht es ja im Prinzip nur um Stückzahlen und Absatz. Doch es genügt, dass die Lieferkette unterbrochen wird oder die Rohstoffe schwer verfügbar sind, und die Produktion gerät ins Stocken. Das sehen wir nicht erst seit der Pandemie.


Unsere Ressourcen sind endlich. Wenn nicht mehr so viel zur Verfügung steht, wird das Wenige teurer. Also muss die Industrie nach Wegen suchen, den Wert eines Produkts auch mit weniger zur Verfügung stehenden Ressourcen zu halten. Denn, wenn man stur immer nur noch mehr produziert, um noch mehr Absatz zu generieren, ohne, dass die Ressourcen mitwachsen, führt das nicht nur zu Raubbau, sondern auch zu Wertevernichtung.

Unser Unternehmen sah sich mit dieser Herausforderung dagegen schon 2002 konfrontiert. Damals zog China die Marktmacht im Möbelsegment an sich, indem es preisgünstigere Modelle in rauen Mengen auf den Markt geworfen hat. Dies hat bei uns im Betrieb einen kaufmännischen Prozess angeregt, der uns unweigerlich in ein nachhaltig ausgerichtete Produktion führte, schon aus einem reinen Sachzwang heraus.


Seither denken wir für die Marke WagnerLiving nicht produkt-, sondern prozessorientiert. Noch deutlicher ist das in der Zusammenarbeit mit Stefan Diez geworden, der uns mit seinem Designanatz noch mal gezeigt hat, dass der eigentliche Wert nicht in dem Produkt selbst, sondern in dem Prozess um das Produkt herum liegt. Bei WagnerLiving generieren wir den Wert unserer Produkte über ständig verbesserte Qualität. Qualität bedeutet in diesem Kontext: Weniger Materialeinsatz, mehr Leistung. Wie das geht, hat Stefan Diez mit dem "D1" gezeigt. Weniger Materialeinsatz, mehr Bewegung.


Und: Stefan war der erste Freelancer, der hier im Wagner Design Lab mit uns nach diesem prozessorientieren Ansatz gearbeitet hat. Wir freuen uns, wenn wir dafür künftig noch weitere Designer und Designerinnen begeistern können.

InteriorFashion: Wenn wir uns hier so umsehen, fällt noch ein weiteres Möbel auf: der 3D-Hocker. Welche Bedeutung hat der 3D-Druck fürs Lab?


Wagner (schmunzelt): Das ist unser "3D One". Der war ursprünglich gar nicht als marktfähiges Produkt geplant, sondern eher als Forschungsprojekt, als Materialstudie gedacht. Wir wollten herausfinden, was im 3D-Druck alles möglich ist. Das Ergebnis ist ein Stehhocker von enormer Beweglichkeit in einem extrem filigranen Design: eine feine Wabenstruktur, die sich in jede Richtung fortsetzt und dadurch äußerst komplex wird. Der Stuhl ist extrem leicht, Sie können ihn einfach unter den Arm klemmen und überall mithintragen. Und: Einen individuelleren Sitz gibt es nicht. Wir drucken Ihnen Ihren Hocker quasi direkt unter den Hintern.


Künftig soll es dazu einen Konfigurator geben, in den der Kunde seine Parameter eingibt - Nutzungsart, Größe, Gewicht - und der Konfigurator berechnet daraus unter Berücksichtigung ergonomischer Vorgaben das für ihn individuell angepasste Design. Der Kunde drückt dann nur noch auf den Knopf, schickt die Daten los, bestätigt damit den Auftrag, der 3D-Drucker führt ihn aus und quasi über Nacht ist das Produkt versandfertig.


Allerdings ist der "3D One" kein Produkt der Marke WagnerLiving, sondern das erste Produkt des Wagner Design Labs. Es ist uns wichtig, das zu unterscheiden. Zum einen wollen wir das Modell immer weiter individualisieren, mit Namens- oder Logogravur zum Beispiel. Und zum anderen richten wir uns dem 3D-Ansatz in erster Linie an Designer. Diese sind eingeladen, den 3D-Druck bei uns im Lab zu studieren und spannende Designs zu entwickeln.


Das Vertriebskonzept könnte dann ähnlich aussehen wie beim "D2": Nicht nur die Drucker in unserer 3D-Produktionslinie sollen ans Lab angeschlossen sein, sondern auch prinzipiell jeder Drucker an jedem Standort der Welt. Das Design wird bei uns im Lab entworfen, der Druck erfolgt beim Kunden vor Ort.

InteriorFashion: Gedruckt wird mit Kunststoff. Verfolgen Sie eine bestimmte Kunststoffstrategie?


Wagner: Zunächst einmal beziehen wir alle unsere Kunststoffe aus der Region, bei unserem Partner in Schwabmünchen, der sich in den vergangenen Jahren immer mehr der Material- und Kunststoffforschung verschrieben hat. Die Auswahl an verschiedenen Rezepturen ist inzwischen enorm.


Neuere Entwicklungen sind meist biobasiert, die setzen wir – je nach Funktionalität – auch bevorzugt für unsere Produkte ein. Aber es gibt auch Kunststoffe, die zwar nicht biobasiert und damit biologisch abbaubar sind, aber als Reinstoffe genauso in den technischen Kreislauf zurückgeführt werden können. Kunststoff an sich ist kein schlechtes Material. Es kommt darauf an, wie man es einsetzt.


Auch wir bei Wagner betreiben Materialforschung mit Kunststoff, nämlich im Zusammenhang mit dem 3D-Druck. Der Kunststoff, den wir augenblicklich zur Herstellung der "D2"-Verbinderteile oder für den "3D One" verwenden, ist ja nicht das Maß der Dinge. Wir sind immer auf der Suche nach Alternativen mit neuen Qualitäten und Materialeigenschaften. Was mir an 3D-Druck so gut gefällt: Man verbraucht nur exakt so viel Material wie für das Produkt tatsächlich gebraucht wird, das ist nicht nur günstiger, sondern auch ressourcenschonend.


Und noch etwas: Der 3D-Druck gibt auch völlig neue Funktionen her. Man kann ja mehrere Funktionen in einem einzigen Auftragungsschritt drucken. Das wäre beim Spritzguss, in dem Kunststoffmöbel bisher hergestellt werden, gar nicht möglich. Das ließe sich darüber gar nicht so filigran zusammensetzen. Da ist sicher noch viel mehr möglich, was genau, können wir im Augenblick noch gar nicht abschätzen.


Wenn es uns gelingt, die Einzigartigkeit eines solchen Produkts zu kommunizieren und die Faszination für den 3D-Druck zu vermitteln, dann wird das auch in der Breite funktionieren.
Wir werden sicher noch weitere Drucker anschaffen und eine eigene Produktionssparte für den 3D-Druck schaffen. Übrigens steht die 3D-Produktion nicht zufällig direkt neben unserem Prüflabor. Denn auch für die 3D-Produkte gilt: Keines unserer Produkte verlässt die Produktion ohne Sicherheitszertifikat.


www.wagner-living.com

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