23.03.2021

Haus-im-Haus-Prinzip

Im Kulturbahnhof Aalen begegnen sich Aalener Industriegeschichte und die Architektur des 21. Jahrhunderts. | Fotos: Brigida Gonzalez

Der neue Kulturbahnhof in Aalen ist ein wichtiges bauliches Dokument der Eisenbahngeschichte der Stadt. Das Gestaltungskonzept von a+r Architekten setzt die Industriearchitekturen des 19. und 21. Jahrhunderts in Beziehung.

Das Gebäude befindet sich auf dem ehemaligen Gleisareal der Bahn und umfasst neben Gastronomie, Kino und Theater auch eine Musikschule und Veranstaltungssäle für Kulturevents. Vorgefunden haben die Architekten 2014 nach einem Brand auf dem Gelände einige historische Gebäudegruppen, darunter Überreste einer großen Halle und das Verwaltungsgebäude. Markante Charakteristika, die erhalten werden konnten, sind die Sandsteinfassade udn kurze Quergiebel.

Die historische Fassade bildet eine ästhetisch klare Hülle für ein großzügiges Raumangebot.

Die in weiten Teilen zerstörte Fassade wurde stilisiert in eingefärbtem Sichtbeton ersetzt. Dort, wo es möglich war, bemühten sich die Architekten darum, den historischen Charakter wieder zu beleben. So wurde an den entsprechenden Stellen die Sandsteinfassade von Steinmetzen ergänzt und repariert. Durch die glatteren Oberflächen der neuen Sandsteine wurde die Ergänzung bewusst als solche sichtbar belassen. Nach historischem Vorbild wurden auch die Dächer der kurzen Quergiebel wiederaufgebaut.


Ganz anders behandelten a+r Architekten den Längsgiebel. Dieser wurde durch einen langen, mit gefaltetem Lochblech verkleideten Quader ersetzt, welcher den räumlichen Bezug zu den städtebaulichen Kanten der südlich angrenzenden Nachbarschaft herstellt. "Im Gegensatz zur historischen Sandstein-Fassade, die ornamental handwerklich und massiv wirkt, ist der aufgesetzte Quader schlicht und zurückhaltend. Durch die halbtransparente Lochblechfassade scheint das Volumen des Quaders durch, es entstehen Assoziationen an einen tuchartigen Vorhang ebenso wie an zeitgenössische Industriearchitektur", beschreibt Architekt Helmut Schiefer die Entwurfsidee.

Die historische Fassade bildet die Hülle eines großzügigen Raumangebotes. In diesen vollständig entkernten Raum wurden neue Boxen eingestellt, die den Raum für unterschiedliche Nutzungen zonieren. Diese Boxen tragen und steifen auch das neue Tragwerk aus. Die großen Säle beziehungsweise die öffentlichen Nutzungen befinden sich im Altbau. Im aufgesattelten Neubau, dem Quader, liegen die Räume der Musikschule und der Theaterwerkstätten.


Diese "dienenden" Räume der Kulturproduktion und der Ausbildung überwölben sinnbildlich die Schaubühnen für das kulturinteressierte Publikum. Wichtig war es den Architekten, mit historischen Komponenten wie Materialien, Befensterung und sichtbarer Dachkonstruktion ein authentisches und eigenständiges Ambiente für die unterschiedlichen Kulturstätten zu gestalten. "Das gesamte Material- und Gestaltungskonzept orientiert sich an der Entwurfsidee, die Industriearchitekturen des 19. und 21. Jahrhunderts auf vielfältige Weise miteinander in Beziehung zu setzen", so Hellmut Schiefer, Projektleiter und leitender Architekt.


Darüber hinaus kommen pragmatische Aspekte zum Tragen: Ein gemeinsames Gebäude für die vielfältigen, bisher auf mehrere Standorte verteilten Kulturstätten, soll nach Einschätzung der Stadt Aalen zur Ressourcenoptimierung beitragen, Synergien bündeln und langfristig für Kosteneinsparungen sorgen.

Über a+r Architekten

a+r Architekten stehen für eine solide, umweltverträgliche und zukunftsorientierte Architektur mit einer überzeugenden Expertise im Bereich des nachhaltigen Bauens – auch im Bestand. Das 1985 von Prof. Gerd Ackermann und Prof. Hellmut Raff gegründete Büro mit Standorten in Stuttgart und Tübingen zählt rund 100 Mitarbeiter und steht heute unter der Leitung von Prof. Hellmut Raff, Oliver Braun, Florian Gruner, Alexander Lange und Walter Fritz. Vorwiegend bauen a+r Architekten für öffentliche Auftraggeber, Industrie und Gewerbe, für kommunale Wohnbauunternehmen sowie für soziale Einrichtungen. Das Büro konzentriert sich auf eine angemessene, ökologische, funktionale und daraus resultierend innovative Bauweise und wurde dafür mit renommierten Preisen ausgezeichnet.


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