01.03.2018

Einfach außergewöhnlich

Das Design-Konzept für die VIB Vermögen AG schafft eine ausgeglichene Arbeitsatmosphäre und unterstreicht den unternehmerischen Gedanken des Unternehmens. Fotos: Koy + Winkel Fotografie/Hubert Klotzeck

Mit Julius Reimann, Gründer und Inhaber von Reimann Architecture, begegnet man einem ganz ungewöhnlichen jungen Mann. Erst vor ein bisschen mehr als zwei Jahren hat er sein Studium der Innenarchitektur an der Hochschule in Coburg abgeschlossen. Seit dem vierten Semester allerdings arbeitete er in einem der größten Planungsbüros für Hospitality in Vollzeit. Für Prüfungen und Pflichtanwesenheiten gab er seinen kompletten Jahresurlaub her – ein Balanceakt zwischen kompromissloser Zielstrebigkeit und grenzenloser Kreativität. Als sechsjähriges Kind wünschte er sich nur schwarze und weiße Legosteine und baute damit Villen aus den Häuserzeitschriften seines Vaters. Mit etwa sieben Jahren stieß er dann auf Grundrisspläne des Hauses seiner Urgroßeltern aus den frühen 1960er-Jahren. Ab diesem Zeitpunkt war er fasziniert von Räumen und deren Kommunikation miteinander und zeichnete unzählige Grundrisse. Den Wunsch, sich selbständig zu machen, hegte Julius Reimann ebenfalls schon sehr früh und gründete mit nur 24 Jahren das Architektur- und Innenarchitekturbüro Reimann Architecture. Antrieb und Grundsatz gleichermaßen ist für ihn die Nachhaltigkeit bei der Realisierung seiner Projekte, aber auch die Verantwortung Kunden und Kollegen gegenüber. Oberstes Gebot ist: Zuhören. Ob Privatkunde, Verantwortlicher einer Modemarke oder einer Hotelkette – die Wünsche und Anforderungen stehen im Vordergrund. Und in diese versetzt sich Julius Reimann hinein und setzt sich inhaltlich mit ihnen auseinander. Erst dann lässt er seiner Kreativität freien Lauf und plant: von innen nach außen. Was das bedeutet und wie er den Beruf des Innenarchitekten begreift, darüber sprach Bianca Schmidt mit Julius Reimann.

IF: Herr Reimann, Sie haben bereits während Ihres Studiums Ihr Unternehmen gegründet. Wie hat es sich seither entwickelt und wie ist es heute aufgestellt?
Julius Reimann: Meine ersten Pläne schrieb ich an unserem provisorischen Wohnzimmertisch, der eigentlich mehr ein Gartentisch war. Ich hatte weder Büromöbel noch finanzielle Ressourcen. Heute sind wir an zwei Standorten in Hamburg und München mit sechs festen Kollegen aus den Bereichen Architektur, Innenarchitektur und Produkt-Design tätig. Darüber hinaus verfügen wir über ein exzellentes deutschlandweites Netzwerk an erfahrenen freiberuflichen Mitarbeitern mit Kompetenzen in den Bereichen Hospitality, Retail-Design und Office-Architektur, die wir als Ergänzung unseres Teams aktivieren können. Meine Hauptaufgaben liegen nach wie vor zum einen im persönlichen Kontakt zu unseren Bauherren sowie in der kreativen Entwicklungsphase jedes Projekts.

IF: Sie propagieren den Ansatz, Räume von innen nach außen zu entwickeln. Das müssen Sie uns genauer erklären.
Reimann: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Gebäude – sei es klassisches Einfamilienhaus oder Hotelkomplex – mit der Planung der Gebäudehülle entstehen. Viele Architekten beginnen ihre Planung also mit der Fassadengestaltung oder versuchen, die Gebäudehülle in die Umgebung zu integrieren. Dabei spielt das Innenleben, die Funktion und Nutzung des Gebäudes und die Wirkung des Raumes im Inneren meist eine untergeordnete Rolle. Genau hier setze ich an: Meinem Ansatz folgend soll ein Gebäude perfekt auf den Bauherren abgestimmt, ihm sprichwörtlich auf den Leib geschneidert sein. Ich gebe Ihnen ein Beispiel für unwirtschaftliches Vorgehen: Wir haben ein großes Office-Projekt, bei dem der Architekt ohne System gebaut hat. Jedes Büro hat eine andere Größe, so dass ich bei der Ausstattung keinerlei Multiplikationsfaktor habe. Jeder Raum wird damit fast zur Sonderanfertigung, was natürlich die Kosten in die Höhe treibt. Zudem werden damit auch kostbare Flächen für die Nettonutzung verschwendet, was eine sinnlose Bebauung unserer Umwelt und Natur zur Folge hat. Unsere Projekte folgen einem komplett anderen Ansatz, der die Rolle des Innenarchitekten revolutioniert. Wir propagieren den Ansatz von innen nach außen. Ich erkläre Ihnen das gerne anhand eines unserer aktuellen Hotelprojekte, bei dem wir bereits bei der Projektentwicklung als projektverantwortlicher Generalplaner beauftragt wurden. Hier haben wir einen optimalen Zimmergrundriss entwickelt und das optimale Bad entworfen – alles unter dem Gesichtspunkt derzeitiger Strömungen und Entwicklungen auf dem Hotelmarkt. Die entstandenen Zimmergrundrisse und -typen haben wir aneinandergefügt, durch Verkehrsflächen ergänzt, Treppen- und Fahrstuhlschächte auf den Brandschutz abgestimmt eingeplant und somit einen optimalen Grundriss komponiert. Schließlich haben wir einen Abgleich zu den vorhandenen innerstädtischen Bauvorschriften vorgenommen und uns im Anschluss mit der Gestaltung der Fassade auseinandergesetzt. Grundlage eines solchen Vorgehens ist allerdings die enge und partnerschaftliche Verzahnung aller projektbeteiligten Fachplaner und Kollegen. Dies ist am Ende nicht nur ökologisch nachhaltig und ökonomisch überzeugend, sondern führt auch zur langfristigen Zufriedenheit des Kunden.


IF: Lässt sich ein solches Vorgehen immer durchhalten?
Reimann: Bei einem Neubau funktioniert es mit kleineren Kompromissen immer. Auch bei Sanierungsarbeiten können Grundrisse und Raumprogramme auf die Bedürfnisse der Nutzer abgestimmt und die Einrichtung daran angepasst werden. Wie groß ein Ankleidezimmer oder eine Küche sein soll, hängt damit vom Bedarf des Kunden ab. Kocht er beispielsweise selten, stimmen wir darauf den Grundriss der Küche ab und können gemeinsam mit dem Hersteller planen. Dies spart Zeit, Material und Kosten – und ganz nebenbei entsteht ein perfekt auf das Notwendige reduzierte Design von höchster Qualität.

IF: Sie definieren das Alleinstellungsmerkmal von Reimann Architecture mit der ganzheitlichen Herangehensweise an jedes Projekt und dem bedingungslosen Bekenntnis zu Qualität und individuellem Design. Bitte führen Sie diese Definition doch etwas aus.
Reimann: Ein Gebäude zu entwerfen, ist kinderleicht und kostet nicht viel Zeit. Eigentlich kann das jeder. Die Herausforderung beginnt, wenn Sie an die Menschen denken, die in diesem Gebäude leben sollen. Neben der Auswahl von Materialien unter den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit und länger überdauernder Qualität steht bei uns eine durchgängige Schlüssigkeit bei der Gestaltung im Zentrum. Zu viele Materialien, zu viele Formen führen schnell ins Chaos. Es werden zu viele Gedanken an Oberflächlichkeiten verschwendet, anstatt sich mit den konkreten Bedürfnissen des Nutzers an einen Raum auseinanderzusetzen. Interessiert beispielsweise einen Hotelgast wirklich das Bild an der Wand oder die Farbe des Kissens? Oder interessiert nicht vielmehr die Lage, Größe und Qualität des Bettes? Es spielt schließlich eine zentrale Rolle für den Nutzer bei seinem Hotelaufenthalt. Darüber hinaus sehen wir Innenarchitektur und Architektur als dreidimensionales Marketing-Instrument. Ein T-Shirt kann ich jederzeit im Internet bestellen, aber was bringt mich wirklich in eine Stadt und lässt es mich im Laden kaufen? Hier wird das Kauferlebnis zum entscheidenden Faktor. In einer Welt, in der sich Stile immer weiter angleichen, wird der Wunsch des Kunden nach Abgrenzung von der Masse, nach Individualität, immer größer. Wir schaffen unverwechselbare Räume, maßgeschneidert auf die Ansprüche unserer Auftraggeber und das unter dem Gesichtspunkt von Nachhaltigkeit und vertretbarem ökonomischen und ökologischen Handeln.

IF: Bleiben wir gleich einmal bei dem Thema Nachhaltigkeit. Das ist Ihnen wichtig.
Reimann: Ja, richtig. Und zwar nicht nur, indem wir nachhaltige Materialien auswählen. Uns interessiert genauso, wer die zur Wahl stehenden Produkte wo und unter welchen Umständen produziert. Wir bevorzugen klar regionale Anbieter, die faire Arbeitsbedingungen und Löhne bieten. Auch wir behandeln unsere Mitarbeiter mit einem sehr hohen Ethos. Im Gegenzug erwarten wir, dass die in den Projekten involvierten Unternehmen höchste Qualität liefern. Bei uns gibt es kein Preis-Dumping. Unsere Projekte und Kunden müssen diesem ganzheitlichen Ansatz von Nachhaltigkeit folgen.


IF: Lehnen Sie auch Projekte ab?
Reimann: Ja, das ist zwangsläufig so.


IF: Sie sind aber nicht nur in der Innenarchitektur tätig, sondern auch im Produkt-Design. Sogar neue Materialien gehen auf Ihr Konto.
Reimann: Meist ergibt sich aus unserer Arbeit an einem Projekt der Wunsch nach einen bestimmten Produkt oder Material, das es bisher nicht gibt. Zum Beispiel arbeiten wir aktuell für die Umgestaltung eines Brauhauses an einer Wandfliese, die auf moderne Art das Äußere eines Steinkruges zitiert. Ein aktuelles Herzensprojekt ist die Entwicklung eines Designs für ein individuelles Geschirr. Ich bin leidenschaftlicher Hobbykoch. Deshalb fließen meine Vorstellungen von kulinarischer Ästhetik in den kreativen Entstehungsprozess ein. Die Wahl des passenden Partners auf der Herstellerseite ergibt sich meist aus unseren Partnerschaften zur Industrie oder dem Wunsch, den jeweils besten Hersteller für ein Produkt zu finden.


IF: Unsere aktuelle Ausgabe beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Büro der Zukunft. Auch Sie haben schon Büroprojekte realisiert, und auch wir haben uns während eines Round Tables zum Thema kennengelernt. Wie sehen Sie das Büro der Zukunft?
Reimann: Mit dieser Frage beschäftigen sich im Moment sowohl Unternehmen, Innenarchitekten als auch Hersteller von Office-Ausstattung. Ich denke, es gibt keine richtige oder falsche Antwort. Das hängt von der Art des Unternehmens und der Unternehmensführung ab. Zunächst ist es wichtig, das Unternehmen und dessen Mitarbeiter in den Mittelpunkt zu stellen. Zudem täte jedes Unternehmen gut daran, die Mitarbeiter in den Umgestaltungsprozess der Büroräume einzubeziehen. Aktuell setzen immer mehr Unternehmen auf Großraumbüros. Zum einen sollen die Informationswege kürzer und die Kommunikation effektiver werden, zum anderen soll Fläche und damit Kosten eingespart werden. Entscheidend bei der Gestaltung eines Großraumbüros ist, dass man mit der Fläche sinnvoll umgeht und Zonen schafft – vom Einzelzimmer über große Meeting-Räume bis hin zu den Chill-out-Zonen. Sonst endet das im Chaos. Großraumbüros haben zwar den großen Vorteil, dass die Leute enger zusammenwachsen und mehr miteinander kommunizieren, aber sie gehen sich eben auch schneller auf die Nerven. Ich habe mich viel mit diesem Thema beschäftigt und kam zu dem Schluss, dass die Gestaltung eines Raums den Menschen beeinflussen kann. Theologen meinten einst, dass die Architektur den Menschen nachhaltiger forme als die Heilige Schrift. Das lasse ich jetzt einmal so stehen. Fakt ist jedoch, dass jedes Gebäude und sein Innenraum eine bewusste oder unbewusste Reaktion in uns auslöst. Gelungene Architektur bringt das Beste in uns zum Vorschein: Offenheit, Großzügigkeit, Energie, Kraft, Ruhe, Entspannung, Freundlichkeit, Bescheidenheit. Umgekehrt kann ein Raum das Gefühl von Einsamkeit und Sinnlosigkeit in uns hervorrufen. Und dies hat natürlich auch einen direkten Einfluss auf die Arbeitsleistung eines Menschen.

IF: Apropos positiver Einfluss auf den Menschen. Mit der Gestaltung einer Hautarztpraxis in Eichstätt ist Ihnen ja genau das gelungen.
Reimann: Ja, es handelt sich dabei um eines der modernsten dermatologischen Zentren in Deutschland mit der neuesten Lasertechnik. Uns hat sofort die moderne Herangehensweise an die Behandlungen begeistert, und genau diese technische Wunderwelt sollte in der Innenarchitektur zum Ausdruck kommen. Wir hatten bis dato noch nicht viel Erfahrung in der Planung von Arztpraxen, was aber den Vorteil hatte, dass wir vollkommen unbefangen und mit einem neuen Blick an das Projekt herangegangen sind. Unser Konzept folgt dem Ansatz des dreidimensionalen Marketings. So wurde das zentrale Thema „Haut" zum wiederkehrenden Element und findet sich in der Farbgestaltung als auch in Details wieder. Auch haben wir das Wartezimmer anders gedacht und in der Mitte eine Kaminskulptur installiert. Diese zieht alle Blicke auf sich und schafft somit ein gewisses Gefühl von Privatsphäre und Diskretion. Am Ende des Tages war die realisierte Lösung sicherlich teurer als eine eine herkömmliche Ausstattung. Zahlreiche positive Rückmeldungen und die Beliebtheit der Praxis bestätigt jedeoch den Erfolg unseres Konzeptes. Auch von fachlicher Seite bekamen wir tolles Feedback. So erhielten wir für dieses Projekt den German Design Award 2018. Solche Erfolge geben uns Bestätigung und spornen uns gleichzeitig weiter an, Höchstleistung zu bringen.


IF: Herr Reimann, vielen Dank für Ihre Zeit!

www.reimann-architecture.com


Das Interview wurde in der Ausgabe 5|2017 von InteriorFashion veröffentlicht.

Ähnliche Artikel